Krieg: Eine besondere Konfliktform

Krieg: Eine besondere Konfliktform
Krieg: Eine besondere Konfliktform
 
Konflikt ist also nicht gleichbedeutend mit Gewalt und Krieg, vielmehr muss der Krieg als eine Sonderform des gewaltförmigen Konfliktaustrags angesehen werden; er lässt sich als bewaffneter Großkonflikt beschreiben. Dabei kann man deutliche Trends ausmachen, die den klassischen Krieg hinter ungeregelten bewaffneten Auseinandersetzungen zurücktreten lassen. Ob nun der »Kampf der Kulturen«, »Kriege niedriger Intensität«, Kriege um ethnopolitische Fragen oder um Umweltthemen: Sowohl die Konfliktursachen als auch die Art der Kriegsführung haben sich deutlich verändert.
 
 Wie Kriege sich historisch entwickeln
 
Betrachtet man die Kriegsentwicklung im Überblick, so zeigt sich, dass seit 1945 weltweit etwa 200 Kriege geführt wurden. Davon entfielen über 90 Prozent auf die Dritte Welt. Die Kriegsbelastung der Welt ist im Lauf der Jahre stark gewachsen und jedes Jahr kamen neue Kriege hinzu. Dabei wurden mehr Kriege begonnen als beendet. Zudem dauerten die neuen Kriege in der Regel länger als die alten.
 
Dabei lassen sich interessante Trends aufzeigen: Zum einen hat die Zahl der traditionellen, zwischenstaatlichen Kriege stark abgenommen, sodass seit 1945 zwei Drittel aller Kriege innerstaatliche Kriege — also Bürgerkriege — gewesen sind. Ein Drittel dieser Bürgerkriege waren dabei reine Antiregimekriege, ein weiteres Viertel entfiel auf die Kategorie »sonstige innere Kriege«, also gesellschaftliche Auseinandersetzungen um Autonomie oder Sezession. Territorialkonflikte und Kämpfe um Autonomie bildeten also die häufigsten Konfliktgegenstände. Ihnen folgten in der Häufigkeit die klassischen Herrschaftskonflikte um die Macht im Staat.
 
Zum anderen ist interessant, dass seit 1945 Kriege zwischen den westlichen Industrienationen quasi nicht mehr vorgekommen sind. Weiterhin bedeutsam ist, dass es nach 1945 Staaten und Regionen gibt, in denen es überhaupt keine gewaltsamen Konflikte mehr gab. Immerhin 63 Länder — das entspricht cirka einem Drittel der mehr als 180 UNO-Mitgliedsstaaten — stellen derartige »Friedensinseln« dar, die weder im innerstaatlichen Bereich noch in ihren auswärtigen Beziehungen systematisch militärische Gewalt ausgeübt oder erlitten haben. Dazu zählen insbesondere Kleinstaaten und diejenigen westeuropäischen Länder, die keine oder keine bedeutenden Kolonialmächte waren.
 
Gleichwohl finden sich auch europäische Staaten in der Kategorie derjenigen Länder, welche die meisten Kriegsbeteiligungen überhaupt aufweisen: nämlich Großbritannien, Frankreich, die UdSSR/ Russland sowie Belgien. Von den außereuropäischen Staaten ragen als Staaten mit Kriegsbeteiligung Indien, die USA, der Irak und die Volksrepublik China heraus. Diese Staaten waren entweder häufig direkt in Bürgerkriege involviert oder sie traten als Interventionsmächte in fremden staatlichen oder innerstaatlichen Auseinandersetzungen auf.
 
 Die Kriege der Zukunft
 
Die Kriege der Zukunft unterscheiden sich deutlich von denen der Vergangenheit. Aber inwiefern? Um was geht es in ihnen? Wie werden sie geführt? Wo finden sie statt? Bereits im vorangegangenen Abschnitt war davon die Rede, dass konventionelle, zwischenstaatliche Kriege eigentlich der Vergangenheit angehören und in der heutigen Staatenwelt eher eine seltene Ausnahme geworden sind. Bedrohungen, die sich aus dem Ost-West-Konflikt ergaben, sind spätestens seit 1989/90 weggebrochen, sodass wir heute an einem historischen Wendepunkt angekommen sind. An die Stelle der geordneten Kriege treten ungeordnete, durch internationale Normen und Abkommen nur gering oder gar nicht geregelte Kriege, die auch die Möglichkeiten zur Streitbeilegung und vor allem zur friedlichen Lösung von Konflikten zukünftig vor neue Herausforderungen stellen.
 
Im Folgenden sollen nun mögliche Konflikte der Zukunft an vier Beispielen erörtert werden: Erstens der von Samuel P. Huntington angenommene Kampf der Kulturen als neues, globales Konfliktparadigma, zweitens die Kriege geringer Intensität (Low Intensity Warfare), drittens die ethnopolitischen und ethnonationalistischen Auseinandersetzungen und viertens Konflikte, in denen die Umwelt beziehungsweise die Umweltzerstörung eine mögliche Ursache von Kriegen darstellt.
 
 Der Kampf der Kulturen als neues Konfliktparadigma
 
Samuel P. Huntington, der amerikanische Politikwissenschaftler, hat die Meinung vertreten, dass ein »Zusammenprall der Zivilisationen« die künftige Weltpolitik bestimmen werde. Die Konflikte auf der Welt würden hauptsächlich durch die Wechselbeziehungen zwischen sieben oder acht großen Kulturkreisen geprägt werden. Dazu unterscheidet Huntington die westliche, die konfuzianische, die japanische, die islamische, die hinduistische, die slawisch-orthodoxe, die lateinamerikanische und möglicherweise die afrikanische Kultur voneinander. Zwischen diesen Zivilisationen liegen für Samuel P. Huntington nun die neuen Bruchlinien, aus denen Konflikte und Kriege hervorgehen können, weil die Unversöhnlichkeit zwischen den Kulturen eine friedliche Koexistenz scheinbar unmöglich macht und daher ein schicksalhafter Zusammenprall der Zivilisationen aus seiner Sicht fast unausweichlich stattfinden muss.
 
Obwohl solcher Art definierte Zivilisationen kaum scharfe Grenzen haben, ist es Huntingtons zentrale These, dass die Quellen von Konflikten nach dem Kalten Krieg nicht mehr primär ideologisch oder ökonomisch bestimmt seien, sondern kulturell und zivilisatorisch. Seine Vorstellungen gewinnen an Brisanz, weil er den wichtigsten Zusammenprall der Kulturen zwischen der westlichen und nicht westlichen Welt sieht. Diese Bruchlinie, die er insbesondere auf eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen dem westlichen Christentum und dem orthodoxen Islam zuspitzt, verläuft quer durch Europa und hat den Eisernen Vorhang weiter nach Osten verschoben. Bislang nur lokale Konflikte könnten jedoch an den Bruchlinien der Zivilisationen in größere Kriege eskalieren, und wenn es zum erneuten Weltkrieg kommen sollte, würde dieser — so Huntington — ein Krieg zwischen Zivilisationen sein.
 
 Ein neues Koordinatensystem
 
Huntington hat, so lässt sich die Kritik an seinen Thesen zusammenfassen, mit seinem »Kampf der Kulturen« nicht nur ein neues Feindbild — nämlich das des expansiven kriegerischen Islam —, sondern auch ein neues Koordinatensystem für mögliche Konflikte der Zukunft geliefert: Ersetzt man nämlich die alte ideologische Blockkonfrontation durch die neuen zivilisatorischen Auseinandersetzungen und das Ost-West-Schema durch Huntingtons neue Formel »The West versus the Rest«, so scheint hier das althergebrachte Hegemoniekonzept der Nachkriegszeit mit der westlichen Vorherrschaft und der Pax americana wieder auf. Im Grund geht es Huntington nämlich um die Selbstvergewisserung des Westens und die Dominanzsicherung durch Abgrenzung und implizite Feindbildproduktion in einer komplexer gewordenen Welt mit mehreren Zentren nach dem Ende des Ost-West-Konflikts. Die weitaus meisten Konflikte der Zukunft dürften nicht um kulturelle Unterschiede, sondern um politische Machtansprüche und materielle Interessen geführt werden, die im Gewand von mobilisierenden, legitimierenden oder identitätsstiftenden kulturellen Formen verpackt sind. Ungleiche Modernisierungserfahrungen, imperiale Hegemonialansprüche oder wirtschaftliche Dominierung verschaffen jedenfalls auf weit wirkungsvollere Weise Gegner als es religiöse oder kulturelle Unterschiede je vermögen. Huntingtons Thesen sind entsprechend bisher eher politisches Programm für die US-Außenpolitik als sorgsame politische Analyse, sie könnten aber durchaus Wirkung zeigen.
 
 Kriege »niedriger Intensität«
 
Der Militärhistoriker Martin van Creveld hat in seinem Buch über »Die Zukunft des Krieges« die These aufgestellt, dass der konventionelle zwischenstaatliche Krieg historisch abgedankt hat und von einem Krieg, der von verschiedenen politischen Organisationen geführt wird, abgelöst wird. Ruft man sich einmal die Vielfalt der Kriege auf der Welt seit 1945 in Erinnerung, so reicht das Spektrum der Kriegsführung in der Tat von konventionellen und regulären Kriegen zwischen Staaten bis hin zu eher unkonventionellen oder irregulären Kriegen wie bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen oder nationalen Befreiungskämpfen in Form von Guerillakriegen, beispielsweise die Bürgerkriege Mittelamerikas.
 
Von der Gesamtheit der bewaffneten Konflikte seit 1945 entfallen etwa drei Viertel auf Kriege geringer Intensität (Low Intensity Warfares). Wurden die konventionellen Kriege noch in klassisch-militärischem Sinne geführt, also mit großen Streitkräftekonzentrationen sowie klarer Frontenbildung, bei einer eindeutigen Unterscheidung zwischen Kriegführenden und Zivilisten, so gab es bei den Bürgerkriegen und bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen bestenfalls auf einer Seite der Krieg führenden Parteien noch reguläre militärische Verbände. Ansonsten waren an diesen Auseinandersetzungen Partisanen, nationale Befreiungsbewegungen, bewaffnete Banden, Milizen oder aufständische Minderheiten beteiligt, ohne dass feste Fronten erkennbar wären und ohne klare Unterscheidung zwischen bewaffneten Gruppierungen und der zivilen Bevölkerung selbst. Die Gesamtzahl der Toten, die solche Kriege mit »niedriger Intensität« gekostet haben, wird auf etwa 20 Millionen Menschen und mehr geschätzt.
 
 Vier Besonderheiten der Kriege »niedriger Intensität«
 
Einige Besonderheiten solcher Kriege verdeutlichen ihre spezifische Grausamkeit: Erstens wird in Kriegen »geringer Intensität« in der Regel das Kriegsrecht nicht beachtet, und völkerrechtliche Normen, die auf eine wie auch immer einzuschätzende Zivilisierung der kriegerischen Auseinandersetzungen drängen, sind außer Kraft gesetzt. Dies hat zunächst einmal unmittelbare Konsequenzen für die Zivilbevölkerung. Schließlich ist in Kriegen niedriger Intensität die traditionelle Unterscheidung zwischen Staat/Regierung, Volk und Armee aufgehoben, sodass die Zivilbevölkerung in die Auseinandersetzungen miteinbezogen wird und daher letztendlich die Hauptlast des Kriegs zu tragen hat.
 
Zweitens verschwimmen die Kriegsziele und die Strategien zur Zielerreichung werden diffus. Im Grund gibt es keine Strategie mehr. Reguläre Gefechte lösen sich mit Bombenanschlägen, Massakern und Gefechtsgeplänkeln ab; auf Tage relativer Ruhe folgen intensive Kleinkriege. Es wird aus Schlupfwinkeln und Hinterhalten heraus gekämpft. Guerillakämpfe und Partisanenkriege beziehen ihre Stärke gerade daraus, die traditionellen Zuordnungen konventioneller Kriege in ihr Gegenteil zu verkehren. Dadurch wird die Zivilbevölkerung zur zentralen Zielgruppe möglicher Aufstandsbekämpfung vonseiten des Staats, da der eigentlich zu treffende Feind in der Bevölkerung untergetaucht ist.
 
Als dritte Besonderheit solcher Kriege sind bestenfalls auf einer Seite reguläre Streitkräfte im Einsatz. Ansonsten kämpfen Guerilleros, Partisanen, bewaffnete Banden und Geheimorganisationen, Terroristen, Banditen und Räuber. Diese gegenüber regulären Armeen eher kleinen und vor allem kleinräumig operierenden, aber effektiv Tod und Schrecken bringenden Einheiten, die um undisziplinierte, marodierende Truppenteile und Freischärler ergänzt werden müssen, verstehen sehr wohl mit modernen Waffen professionell zu kämpfen. Besonders dramatische Formen nehmen diese Kriege für die Zivilbevölkerung an, wenn Staat und Gesellschaft zerfallen sind und es zu Chaotisierungsprozessen kommt, wie etwa zuletzt im Libanon und Afghanistan, Somalia oder Liberia.
 
Viertens ist für das Auskämpfen solcher Kriege keine besonders elaborierte Waffentechnik erforderlich. Im Gegenteil: Die mächtigsten, modernsten Streitkräfte und Waffensysteme sind schon heute für einen modernen Bürgerkrieg weitgehend bedeutungslos. Dennoch ist auch bei den eingesetzten konventionellen Waffen der Trend zu einer intensiveren Tötungswirkung unverkennbar. Zunehmende Materialintensität und anwachsende Feuerkraft führen zu erhöhten Zerstörungen. Mit den heutigen Schnellfeuergewehren, Granatwerfern, Landminen, tragbaren Boden-Luft-Raketen und anderen Waffen können selbst undisziplinierte, marodierende Truppenteile ebenso gut wie gut ausgerüstete und ausgebildete Kämpfer Krieg führen, was aber auch zulasten der Zivilbevölkerung geht. Eingriffe in solche »Kriege niedriger Intensität« sind, wie unlängst die Fälle Bosnien und Kosovo gezeigt haben, nur schwer möglich. Sie sind für die eingreifenden Parteien in jedem Fall mit beträchtlichen Kosten verbunden und weisen keinerlei Erfolgsgarantie auf.
 
 Ethnopolitische und ethnonationalistische Auseinandersetzungen
 
Ethnische Konflikte haben in den letzten Jahrzehnten zu den hartnäckigsten und blutigsten Bürgerkriegen geführt. Wenig strittig ist zudem, dass ethnische Konflikte auch das größte Potenzial für zukünftige gewaltsame Auseinandersetzungen beinhalten. Aus der Sicht des jeweiligen Staats und seiner Mehrheitsgesellschaft werden solche Konflikte häufig als Mehrheiten-Minderheiten-Konflikte oder als tribalistische Konflikte behandelt und verharmlost oder ganz geleugnet. Aus der Sichtweise der nicht dominanten Gruppierungen der Gesellschaft geht es demgegenüber oft um existentielle Fragen der Selbst- und Mitbestimmung, um die eigene kulturelle Identität und die ökonomische Teilhabe, in extremen Fällen sogar um das physische Überleben und die nackte Existenz. Aus der Sicht des Staats wird die Politisierung des ethnischen Faktors oft als Voraussetzung für Konflikte zwischen Staaten und verschiedenen ethnischen Gruppen gesehen. Aus der Perspektive einer beliebigen ethno-nationalen Gemeinschaft ist diese Politisierung aber in der Regel nicht die Voraussetzung, sondern bereits das Resultat eines Konflikts.
 
Die Relevanz ethnopolitischer Konflikte kann mit wenigen Argumenten verdeutlicht werden: Die heutige Welt ist ganz eindeutig nationalstaatlich verfasst. Der Nationalstaat mit seiner politisch-administrativen und militärischen Struktur und der Verfügung über ein begrenztes Territorium ist der Souverän im Namen eines Volks und einer Nation mit angeblich einheitlicher ethnisch-kultureller und/oder historisch gewachsener Identität. Von den zur Zeit bestehenden fast 200 Staaten auf der Erde sind jedoch nur wenige mononational. Die meisten dieser Staaten verfügen also nicht über eine ethnisch-national homogene Bevölkerung. Nur ein Bruchteil der Weltbevölkerung lebt in solchen ethnisch-homogenen Nationalstaaten zu denen etwa Korea oder Japan zählen. Die meisten Staaten der Erde sind jedenfalls im eigentlichen Sinn gar keine Nationalstaaten, sondern multiethnische oder multinationale Vielvölkerstaaten. Innerhalb der bestehenden Staatenordnung gibt es nicht weniger als 2500 bis 5000 Nationen, Nationalitäten und ethnische Gruppierungen der unterschiedlichsten Größe, es werden 3000 verschiedene Sprachen und etwa 12000 Dialekte gesprochen. Lediglich 600 der verschiedenen Ethnien bilden die größeren aktuellen Nationalstaaten. Daneben gibt es aber noch über 230 ethnische Minderheiten mit jeweils mehr als 100000 Angehörigen, die eigene Staaten bilden könnten und dies zum Teil auch wollen.
 
Nun gibt es aufgrund ethnisch-kultureller Differenzen allein noch keine Konflikte. Dennoch lässt sich immer wieder beobachten, dass in Konflikt- und Krisensituationen Fronten gern an den ethnischen, sprachlich-kulturellen oder religiösen Grenzlinien aufbrechen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die ethnischen Minderheiten über eine längere Zeit wirtschaftlich oder politisch diskriminiert wurden, sich einer entsprechenden Benachteiligung ausgesetzt sahen oder bis an den Rand der existentiellen Bedrohung ausgegrenzt und verfolgt wurden. Dies gilt aber auch, wenn die staatliche Zentralgewalt nicht mehr in der Lage ist, einen sozialen Ausgleich zwischen einzelnen Bevölkerungsteilen sicherzustellen, wenn das staatliche Gewaltmonopol zerbricht oder wenn Gruppierungen mit unterschiedlicher Privilegienverteilung zusammenleben.
 
 Konfliktursachen und -gegenstände ethnischer Auseinandersetzungen
 
Von diesen Konfliktursachen heben sich allerdings die konkreten Konfliktgegenstände ab. Die ethnischen Minderheiten können sich konkret einer Vernichtungsdrohung wie Völkermord und Auslöschung, einer Existenzbedrohung durch Massenmorde oder Massaker sowie einer unmittelbaren Gefährdung durch territoriale Invasion, Verfolgung und Vertreibung oder Zwangsumsiedlung gegenübersehen. Mittelbare Bedrohungen entstehen aus der Majorisierung ihrer Territorien, einem Siedlerkolonialismus oder einer Zwangsassimilierung. Daneben geht es um Identitätsfragen und -konflikte wie die Abwehr von Assimilationsmaßnahmen, um Unterdrückung und alltäglichen Rassismus. Ethnische Konflikte können darüber hinaus politische Dispute wie beispielsweise den administrativen Status eines ethnischen Territoriums oder politische Forderungen zum Gegenstand haben. Manchmal stehen auch Interessenkonflikte im Vordergrund.
 
Die Ziele ethnonationalistischer Bewegungen variieren entsprechend den Konfliktgegenständen, den Konfliktinhalten, dem konkreten Konfliktverlauf und natürlich der Konfliktvorgeschichte. Christian Scherrer unterscheidet jedenfalls drei grundlegende Ziele, für die in ethnonationalistischen Gewaltkonflikten gekämpft wird: Ein grundlegendes Ziel besteht darin, eine territoriale oder kulturelle Autonomie mit eigener Verwaltungsstruktur zu erreichen. Dies trifft in etwa 60 Prozent aller Fälle zu. In 20 Prozent aller Fälle ist dagegen die weitgehende Autonomie mit Herstellung einer Selbstregierung oder mit weit reichender interner Selbstbestimmung oder ein Gliedstaatstatus in einem föderativen Gesamtstaat das Ziel. Schließlich wird in weiteren 20 Prozent der Fälle die vollständige Eigenstaatlichkeit und Souveränität als unabhängiger Staat angestrebt. Vergegenwärtigt man sich die über 200 ethnischen Minderheiten mit derartigen Zielvorstellungen, dann ist die Liste der potenziellen Konflikte mit ethnischer Couleur ziemlich lang.
 
Das Vertrackte in Bezug auf eine konstruktive Konfliktbearbeitung besteht ganz zweifellos darin, dass es sich bei ethnischen Konflikten in ganz besonderem Maß um unteilbare Konflikte handelt. Da es hierbei nicht in erster Linie um ein Mehr oder Weniger an politischer und wirtschaftlicher Teilhabe geht, sondern um Identitäten, sind diese Konflikte in der Regel nicht durch eine Teilung des eigentlichen Konfliktgegenstands lösbar.
 
Darüber hinaus weist die lange Liste der dringlichsten ethnopolitischen Konflikte in den 1990er-Jahren alle Merkmale auf, die eine erfolgreiche Vermittlung etwa durch Dritte ebenfalls erschweren: Vielfach sind die beteiligten Akteure heterogen, ihr Machtpotenzial ist asymmetrisch, die Feindschaften reichen häufig weit in die jeweilige Geschichte zurück und der ausgetragene Konflikt spitzt sich auf dramatische Weise mitunter sehr rasch zu.
 
 Umweltzerstörung und ökologische Krisen als Kriegsursachen
 
In den kommenden Jahrzehnten wird die zunehmende Umweltzerstörung und ein gestörtes ökologisches Gleichgewicht eine zentrale Ursache von Konflikten bilden. Sowohl Bürgerkriege als auch zwischenstaatliche Kriege werden durch ökologische Krisen ausgelöst werden. Da Boden, Wasser und Energie die Grundlagen für die menschliche Existenz und für das menschliche Wirtschaften bilden, aber zugleich durch menschliche Eingriffe Natur und Umwelt belastet werden, bringt dieser Konflikt ganz neue Dimensionen mit sich. Hier summieren sich herkömmliche Verteilungskonflikte über knappe oder lediglich ungleich verteilte Güter und nichterneuerbare Ressourcen wie beispielsweise fossile Brennstoffe oder bestimmte Mineralien zur generellen Verknappung erneuerbarer Ressourcen wie Wasser, Fischbestände und landwirtschaftlich nutzbare Böden hinzu. Häufig überlagern sich dabei ökologische Konflikte mit sozioökonomischen und politischen Problemen. Bereits heute wird davon ausgegangen, dass in vielen Sezessions- und Antiregimekriegen ökologische Faktoren wie Bodenerosion, Abholzung von Wäldern und Wassermangel eine wichtige Rolle spielen.
 
Zu internationalen Krisen werden Umweltkonflikte vor allem dann, wenn die von einem oder mehreren Staaten ausgehenden Umweltschäden und die Eingriffe in die Natur beginnen, die politische oder ökonomische Stabilität in anderen Staaten zu untergraben. Umweltkonflikte werden dann politisch wirksam, wenn durch grenzüberschreitende Umweltverschmutzung die territoriale Unversehrtheit eines Staats in Gefahr ist, wenn durch Eingriffe in die Natur die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft bedroht ist oder wenn von außen verursachte Umweltschäden die Legitimität von Regierungen oder ganzer politischer Systeme zu zerstören drohen. Aber auch politisierte Umweltkonflikte schlagen nicht zwangsläufig in Krieg um.
 
Dr. Peter Imbusch
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Konflikt: Friedliche Konfliktbearbeitung und Kriegsverhütung
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Konflikt: Feindbilder, Gewaltbereitschaft, Gewaltarten
 
 
Friedens- und Konfliktforschung. Eine Einführung mit Quellen, herausgegeben von Peter Imbusch u. a. Opladen 21999.
 Huntington, Samuel P.: Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert. Aus dem Amerikanischen. Taschenbuchausgabe München 1998.
 
Kriegsursache Umweltzerstörung. Ökologische Konflikte in der Dritten Welt und Wege ihrer friedlichen Bearbeitung. Abschlußbericht des Environment and Conflicts Project ENCOP, herausgegeben von Kurt R. Spillmann u. a. 3 Bände. Zürich 1996.
 Matthies, Volker: Immer wieder Krieg? Eindämmen — beenden — verhüten? Schutz und Hilfe für die Menschen? Opladen 1994.
 Meyers, Reinhard: Begriff und Probleme des Friedens. Opladen 1994.
 Müller, Harald: Das Zusammenleben der Kulturen. Ein Gegenentwurf zu Huntington. Frankfurt am Main 21999.
 Scherrer, Christian P.: Ein Handbuch zu Ethnizität und Staat, Bd. 1: Ethno-Nationalismus im Weltsystem. Münster 1996.
 Smith, Dan: Der Fischer-Atlas Kriege und Konflikte. Aus dem Englischen. Frankfurt am Main 1997.
 Van Creveld, Martin: Die Zukunft des Krieges. Aus dem Amerikanischen. München 1998.

Universal-Lexikon. 2012.

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